Donnerstag, 5. November 2009

So stark...

„Du bist immer so stark…“ sagte neulich eine Kollegin zu mir, als sie mir verzweifelt ihre Probleme erzählte. Genau dieser Satz spuckt mir seither im Kopf herum und ist einfach nicht wieder heraus zu bekommen. Bin ich das? Wirklich? Ich? Ja, wahrscheinlich, von außen betrachtet wird das stimmen. Nur nie die Gefühle zeigen, nur niemals das Gesicht verlieren, immer lächeln, dann wird alles gut und wie es innen aussieht geht niemanden etwas an. Das trifft es eher, dass bin eher ich. Bei allem hundert Prozent Einsatz, Perfektionismus bis zum Äußerstern, nur nicht unterkriegen lassen, das bin ich auch. Getrieben von meinen Idealen, von meinem seit Jahren festen und unverrückbaren Weltbild, vom Streben nach Glück. Ja, das bin ich auch! Stark? Für mich bin ich nicht stark, für meinen ausgeprägten Perfektionismus bin ich viel zu schwach, schiebe unangenehme Dinge vor mir her, verlasse mich (für mein Gefühl) zu oft darauf, dass alles irgendwie schon gut gehen wird, bin in vielen Dingen viel zu inkonsequent und in anderen Dingen viel zu festgefahren und prinzipientreu. Geprägtes Verhalten durch das Leben, gelerntes Verhalten in der Kindheit. Und über allem steht eigentlich nur der Wunsch nach Geborgenheit, nach Nähe, nach Geliebt werden, nach einem sicheren Hafen – ja – nach Familie.

Lange, viel zu lange schon, habe ich mir eingebildet, wenn ich erstmal selber eine kleine Familie gegründet hätte, dann könnte ich alles anders machen und der Rest – also die große Familie – würde sich dann fast automatisch ergeben, weil (ein bisschen überheblich gesprochen) sie dann endlich alle sehen würden, wie schön Familie sein kann und sie sich genau das, ganz tief in ihren Herzen doch genauso immer gewünscht haben! Oder? Meine eigene kleine Familie habe ich gegründet und ich mache vieles anders und vieles auch sehr bewusst anders als meine Eltern es getan haben, aber alles andere ist immer noch eine Wunschvorstellung. Jedes Jahr gibt es im Januar ein Familienkaffeetrinken, weil es schön ist, die ganze Familie um sich zu haben. Weil ich es so schön finde. Die Reaktionen sind immer gleich: „Schön, dass Du das machst.“ oder „Schön, dass wir uns endlich einmal alle wieder gesehen haben.“ oder „Das ist wirklich eine schöne Idee, das sollten wir öfter machen.“ Und dann? Nichts! Bis zum nächsten Jahr… Meine Familie ist auf beiden Seiten zerstritten, Geschwister reden nicht mehr miteinander und kennen mittlerweile die Gründe auch nicht mehr, die dazu geführt haben. Jeder lebt sein eigenes Leben und kümmert sich nicht darum, was die anderen tun. Auf einer Familienseite hat man sich nach dem Tod meiner Oma halbwegs zusammen gerauft, auf der anderen Seite scheint es, als wäre man nach dem Tod meines Opas noch weiter auseinander gerückt. Meine Eltern sind seit Jahrzehnten geschieden und schaffen es dennoch nicht, sich wie zwei normale Menschen zu unterhalten und immer noch schiebt der eine dem anderen die Schuld daran zu. All das kann ich nicht mehr verstehen und um ehrlich zu sein, ich will es auch nicht mehr verstehen und mir über all das keine Gedanken mehr machen müssen. Jeder lebt hier sein eigenes Leben und darin war niemals Platz für eine Familie und diesen Platz wird es auch niemals geben, egal welche Anstrengungen ich kleiner Mensch anstellen werde. Vielleicht sind meine Familienvorstellungen auch unrealistisch und geprägt von amerikanischen Fernsehserien und das, was mir Freunde und Kollegen über ihre Familien erzählen ist vielleicht auch geschönt und sieht in Wirklichkeit ganz anders aus. Vielleicht ist der Wunsch danach bei mir auch nur so groß, weil es niemals in meinem Leben so etwas gab, weil ich niemals wirklich wusste, egal was passiert, meine Familie steht hinter mir, da ist jemand da, der immer zu mir hält, egal was ich tue… Wenn es das aber doch nie gab, wie komme ich bitteschön bloß auf den völlig absurden Gedanken, dass ich – ausgerechnet ich – daran etwas ändern könne??? Wohl nur, weil ich eben so bin, wie ich bin. Perfektionistisch, mit unverrückbaren Wertvorstellungen, ausdauern, willensstark, harmoniesüchtig und unendlich moralisch. Wohl alles Eigenschaften die man braucht um einen noch so aussichtslosen Kampf immer weiter zu führen, eine ewige Schlacht zu schlagen, obwohl man schon längst erkannt hat, dass sie nicht zu gewinnen ist. Die Hoffnung und sei es nur ein kleine Stück – genährt von Aussprüchen und Floskeln, die gesagt werden – bleibt und ich weiß, dass ich genauso weitermachen werde (muss), weil ich sonst immer glauben werde, ich hätte nicht alles versucht…

Das bin dann wohl auch ich, die ewige Kämpferin, die nicht anders kann. Aber eines muss ich dringend ändern, damit ich mich nicht verliere. Ich muss endlich, endlich lernen sagen zu können, wenn man mich verletzt und tief enttäuscht hat. Muss endlich zulassen können in gewissen Situationen eben doch Gefühle zu zeigen und das sofort! Aus Angst viel zu viel von mir Preis geben zu müssen oder vielleicht viel zu übertrieben zu reagieren, reagiere ich eben nicht sofort. Nein, ich warte erst einmal ab – ein paar Tage, ein paar Wochen und oft so lange, dass ich am Ende nichts mehr dazu sage, weil es schon zu lange her ist. Das führt dann wiederum dazu, dass ich zulasse, dass sich Gefühle aufstauen und in einer nächsten Situation, bin ich doppelt verletzt. Und irgendwann reagiere ich dann bei der kleinsten Kleinigkeit völlig über, was wiederum dazu führt, dass mein Gegenüber völlig entsetzt ist, nicht versteht, warum ich mich über so eine Belanglosigkeit so extrem aufregen kann… Oder aber ich versuche es diplomatisch und sage nur ein bisschen etwas, in der Hoffnung, dass mein Gegenüber mich schon verstehen wird, schon erkennen wird, was mich verletzt hat und wie sehr. Genau das führt zu nichts. Und so ist es beim nächsten Mal ähnlich wie beim ersten Mal, denn es war ja alles halb so wild.

Und über allem schwebt dann immer noch die Frage, wozu das alles? Vermutlich wird es nicht dazu führen, dass sich Menschen die mir wichtig sind, mir gegenüber anders verhalten werden, weil sie es auch nicht können. Weil sie ihr ganzes Leben schon immer so waren wie sie sind und weil sie eben andere Wertvorstellungen an ihr Leben haben. Aber will ich sie denn überhaupt ändern? Nein, ich möchte nur endlich verstanden werden, aber nicht als diejenige, die immer so stark ist.

Jeder hat das Recht darauf sein eigenes Leben zu leben, aber eben nur, wenn er niemand anderen dadurch verletzt und wenn es unterschiedliche Lebensvorstellungen gibt, so ist das eher eine Bereicherung, als eine Einschränkung, aber dann muss es im Zusammenleben und im Miteinander auch dazu Kompromisse geben, mit denen jeder Leben kann ohne verletzt zu werden. Und genau diesen Austausch über die Lebensvorstellungen, den gibt es eben nicht und so unterliege ich immer wieder der irrigen Annahme, dass ich mir das Richtige vorstelle und andere der gleichen Ansicht wären wie ich, obwohl sie eine ganz andere Vorstellung haben. Weil sie aus reiner Nettigkeit einfach so tun, als wäre alles in Ordnung und weil ich viel zu spät oder gar nicht etwas dazu sage.

Und jetzt höre ich auf, sonst wird es zu melodramatisch und kriegt viel zu viel Gefühl!

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo JJ,
ich kann Dich sehr verstehen, denn ich habe auch ähnliches in meinem Leben erlebt. Es ist bei mir zwar schon etwas länger her, dennoch liege ich oft nachts wach und denke über mein "vergangenes" Leben nach. Du musst weiter darüber reden (oder schreiben), das hilft etwas...
Ich jedenfalls kenne Dich als einen ganz, ganz wertvollen Menschen!

Gruß GH

JJ hat gesagt…

Danke, es tut verdammt gut das zu hören bzw. zu lesen!