rein hypothetisch, nur mal angenommen, ein Mensch, der mir total wichtig ist läuft sehenden Auges in eine riesen Katastrophe und bemerkt es nicht, weil er immer noch voller Hoffnung steckt, dass alles gut wird… Bin ich denn als guter Freund nicht verpflichtet diesen Menschen davor zu bewahren oder zumindest ihn zu warnen?
Und wenn ich das versuche und merke, dass alle meine Bemühungen nicht dazu führen diesen Menschen zu retten, sondern dazu führen, dass er sich von mir abwendet und unsere Freundschaft beginnt allmählich daran zu zerbröseln. Wenn ich mich dann dazu entscheide, dass mir aber die Freundschaft wichtig ist und ich nicht erreichen möchte, dass diese kaputt geht und deshalb beschließe die "Rettung" aufzugeben. Da zu sein. Zu zuhören. In dem Bewusstsein, dass irgendwann der große Knall, die große Katastrophe kommt. Habe ich mich dann richtig entschieden?
Natürlich versuche ich nicht diesen Menschen dazu zu überreden meine Meinung zu übernehmen. Ich versuche lediglich darauf hinzuwirken, dass man gewisse Tatsachen - nach einer so langen Zeit, die diese Situation jetzt schon andauert - wahrnimmt und nicht mehr ignoriert. Sich nicht mehr mit so sehr an den Haaren herbei gezogenen Ausreden abspeisen zu lassen, nicht mehr alles und sei es noch so absurd einfach so zu glauben. Auf der einen Seite wird meine Meinung und meine Interpretation eingefordert, aber nur dann zugelassen, wenn sie nicht die Absurdität der Situation heraus stellt, nicht darauf hinweist, dass das was - wie auch immer begründet wird, total abwegig ist und bei näherer Betrachtung mindestens so wahrscheinlich wie die Tatsache, dass wir ab dem nächsten Jahr Weihnachten und Ostern an einem Tag feiern. Wenn ich das nämlich tue, dabei aber schon versuche nicht die Gefühle meines Gegenübers durch in Abrede Stellung der eigenen Beurteilungskraft zu verletzen, sondern ganz vereinzelt mal so kleine Bemerkungen einstreue, um ein klein wenig darzulegen, dass ich die ganze Erklärung irgendwie merkwürdig finde, wie z. B. "Hast Du denn mal angerufen?", ernte ich Unverständnis, das so weit geht, dass mein Gegenüber bei zu deutlichen Worten meinerseits total dicht macht, die Situation nicht mehr anspricht und sich eine kleine (noch) dünne Eiswand zwischen uns schiebt.
Also bin ich dazu übergegangen genau das nicht mehr zu tun, genau das nicht mehr zu fragen, nicht mehr auf Offensichtlichkeiten hinzuweisen. Auf der einen Seite entlastet das unsere Beziehung zueinander, mein Gegenüber fühlt sich nicht mehr von angegriffen, zurechtgewiesen, in eine bestimmte Ecke gedrängt - wie auch immer. Bei mir führt das aber zum Aufbau eines enormen Druckes. Denn einerseits möchte ich ja für die entsprechende Person da sein, weil das für mich die Natur einer Freundschaft darstellt, aber ich bin anderseits gezwungen mich gegen meine Überzeugung zu verhalten, nicht das zu sagen was ich denke, meine und glaube. Also muss ich extrem aufpassen was ich überhaupt sage und ich habe nach jedem dieser Gespräche ein ganz schlechtes Gefühl, weil ich eben nicht klar das gesagt habe, was ich denke und weil ich den Ausgang der Situation quasi schon vor mir sehe.
Die Lösung dieses Konfliktes beschäftigt mich und ich kann sie einfach nicht greifen. Die Freundschaft ist mir sehr wichtig und daher habe ich das Gefühl, dass ich nicht einfach daneben stehen kann, während mein Gegenüber mit verbundenen Augen auf den Rand einer Klippe zusteuert. Aber ich kann auch nicht länger Verständnis heucheln, weil das am Ende genau das Selbe bewirkt, der Abgrund kommt immer näher und der Aufprall wird schwerwiegende Verletzungen nach sich ziehen.
Muss ich mich also für ein entweder oder entscheiden? Muss ich endlich meine offene und ehrliche Meinung sagen mit der Konsequenz, dass das das Ende unserer Freundschaft bedeutet? Oder muss ich darauf bestehen, dass wir dieses Thema komplett ausklammern, was, weil das kaum möglich sein dürfte, im Prinzip ebenfalls das Ende unserer Freundschaft bedeuten würde. Und würden nicht beide Entscheidungen trotzdem dazu führen, dass ein Mensch der mir total wichtig ist, früher oder später den Rand der Klippe erreicht und herunter stürzt und ich habe es dann trotzdem gewusst und nichts getan?
3 Kommentare:
Tja, es hat immer noch jeder Mensch das Recht, seine eigenen Fehler zu machen. :-/ Selbst bei Kindern ist es schon schwer abzuschätzen, wann man eingreifen und wann man sie gewähren lassen muß. Und dieser Mensch ist erwachsen.
Du hast Deine Meinung ja offenbar schon kundgetan. Mehr geht wohl leider nicht, und vorzuwerfen hast Du Dir nun doch eigentlich nichts mehr. Wie heißt der schöne Spruch? "Du kannst ein Pferd zur Tränke führen, aber du kannst es nicht zum Saufen zwingen."
Laß ihn. Fang den Freund auf, wenn er abstürzt und sei weiter für ihn da. Mehr kannst Du nicht mehr tun, und auch das gehört ja zu einer Freundschaft.
Danke Ute, Du hast natürlich recht. Trotzdem ist es eine Situation die mich sehr belastet, vielleicht auch, weil ich quasi unausweichlich fast jeden Tag damit konfrotiert bin und ob ich will oder nicht so ziemlich alles mitbekomme. Aber ich sehe halt auch irgendwie keine andere Lösung als auf den Aufprall zu warten und dann zu trösten.
Zur Not kannst Du ja immer noch einen Brief schreiben, in dem Du genau das darlegst, was Du hier schon aufgeschrieben hast. Irgendwann wird er es verstehen.
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