Verständnis habe ich für viel, ja ich bezeichne mich als extrem toleranten Menschen. Mein Kind wird tolerant erzogen. Aber Toleranz heißt für mich nicht, dass ich von meinen Mitmenschen und meiner Umwelt erwarten kann, dass ich mich verhalten kann wie ich will und alle anderen das zu tolerieren haben. Toleranz heißt für mich, dass ich jede Art zu Leben, jede Art von Glauben, jede Art von Liebe und jede Art von Meinungsäußerung akzeptieren kann, solange - und das ist der Punkt - niemand darunter zu leiden hat.
Ich habe 13 Jahre lang eine Schule besucht, die in keiner Hinsicht tolerant war. Linkshändern wurde die linke Hand mit Heftpflastern auf dem Tisch festgeklebt, weil man mit rechts zu schreiben hat. Kinder wurden von Beginn an in ein Raster der Temperamente eingeordnet und steckten darin fest. Gescheiterte Ehen der Eltern waren schlecht (muss ich erwähnen wie man sich als Scheidungskind dabei fühlt?). Anpassung war angesagt, freiheitliches Gedankengut nicht erwünscht. Natürlich habe ich mir im Laufe meines Lebens Wertvorstellungen, Moral und Lebensweisen angeeignet, nach denen ich lebe und nach denen ich meine Tochter erziehe und natürlich kann ich bei ganz vielen Sachen nicht verstehen wie man sie so machen kann oder wie man so leben kann, weil ich das ganz anders machen würde. Aber trotzdem verurteile ich die Menschen deshalb nicht, trotzdem akzeptiere ich, dass sie sich vielleicht in einzelnen Punkten konträr zu mir verhalten. Vielfalt ist eine Bereicherung und so habe ich das immer gesehen. Aber für mich gehört zu aller Toleranz eben auch der Kompromiss, das zurückstecken von eigenen Interessen zum Wohle der Gemeinschaft. Denn Zusammenleben bedeutet immer Kompromisse und auf einer einsamen Insel leben wir nun mal nicht.
Wenn jemand zum Beispiel mit drei Lebenspartnern gleichzeitig sein Leben verbringen möchte, dann ist das nicht das Lebensmodell, was ich gerne leben möchte. Trotzdem finde ich es okay, wenn alle Beteiligten für sich entschieden haben so zu leben. Deshalb verurteile ich die Menschen nicht für ihr gewähltes Lebensmodell. Wenn jemand an etwas glaubt, mit dem ich mich so gar nicht identifizieren kann, habe ich damit noch lange kein Problem. Wenn dieser Glaube dazu führt, dass man sein Kind unter so starken Druck setzt, dass es offensichtlich große Probleme hat, 20 Minuten vor einem Stück Kuchen sitzt, weil es mich sich ringt ob es diesen Kuchen essen darf oder nicht, von sämtlichen gemeinsamen Klassenaktionen ausgeschlossen wird, weil man in der Tatsache mit einer Laterne durch einen Park zu laufen etwas zu religiöses sieht, Lehrer sich Gedanken über Alternativbeschäftigungen für dieses Kind machen müssen, während alle anderen gemeinschaftlich Wünsche an das Geburtstagskind verteilen, kann ich das nicht wirklich nachvollziehen. Denn an dieser Stelle ist nicht meine Toleranz gefragt, sondern die der anderen Seite. Den muslimischen Eltern in der Klasse gelingt das viel besser. Ihre Tochter nimmt auch nicht am Religionsunterricht teil (wobei die Themen zur Zeit Streitentstehung und Streitschlichtung sind) und singt auch keine Sankt Martins Lieder, aber sie darf zum gemeinsamen Laternenfest kommen, darf mit ihren Klassenkameraden Kekse essen, an der Aufführung eines Igelgedichtes und des Buchstabenraps (beides absolut frei von jeglicher Religion) teilnehmen und auch mit ihrer selbstgebastelten Laterne im Regen durch den angrenzenden Park laufen. Auch das gehört zum Thema Toleranz.
Keine einheitliche Sichtweise, Toleranz erfordert ein Miteinander von beiden Seiten und einen Kompromiss. Wenn meine Tochter aber unmittelbar betroffen ist, von der Ausgrenzung eines anderen Kindes, weil dieses Kind nämlich in keiner Weise mit dieser Ausgrenzung klar kommt (was ich auch nicht von einem sechsjährigen Kind erwarten kann) und meine Tochter das "Ventil" ist, dann habe ich ein großes Problem. Zum einen erkläre ich ihr, dass das betroffene Kind eben an etwas anderes glaubt und deshalb an einigen Dinge eben nicht teilnehmen kann und zum anderen fragt sie mich dann, warum es denn so schlimm wäre gemeinsam Kekse zu essen und mit einer Laterne durch den Park zu laufen und genau auf diese Frage weiß ich dann auch keine Antwort mehr, wenn sie selber anführt, dass das muslimische Kind doch auch an etwas anderes glaubt und trotzdem Kekse mit allen gemeinsam essen darf. Wenn meine Tochter mich bittet beim Elternsprechtag ihrer Lehrerin zu sagen, dass das betroffene Kind an jedem Tag, an dem ein Geburtstag ansteht unendlich traurig ist und meiner Tochter dieses in der "geheim Höhle" erzählt und die Lehrerin das doch vielleicht ihren Eltern sagen soll, weil die das doch vielleicht gar nicht wissen. An diesen Stellen wünsche ich mir, dass meine kleine sechsjährige Tochter sich doch bitte noch nicht solche Gedanken machen sollte! Wenn sie mich fragt, ob es schlimm wäre, wenn sie schmutzig ist, wenn ich sie von der Betreuung abhole (und das ist sie jeden Tag, schließlich spielt sie fast immer bis 17 Uhr draußen), weil das betroffene Kind dürfe sich nicht schmutzig machen, wiel ihre Mama schon soviel arbeit hätte und da dürfe sie ihr nicht noch mehr Arbeit machen und wenn sie doch schmutzig wäre bekäme sie ganz dollen Ärger und meine Tochter mich das deshalb fragt, weil ich doch den ganzen Tag arbeiten bin und auch so viel zu tun habe. Wow, da komme ich an einen Punkt, bei dem ich schwer schlucken muss.
Wie bitte erklärt man jetzt seinem Kind tolerant zu sein, Menschen nicht nach Ihrem Aussehen oder ihrem Glauben zu beurteilen, wenn sie von kompletter Intoleranz umgeben ist. Wenn sie von klein auf durch ihr Umfeld lernt, dass man sich seine eigene Parallelwelt schaffen darf und alle das zu akzeptieren haben, wenn ich das einfach nur einfordern muss und mit meinem Glauben begründen kann?
2 Kommentare:
Hui! Starker Tobak. V.a. noch der letzte Punkt mit dem Dreckigwerden. Die Idee von Deiner Tochter, die Lehrerin als Vermittlerin einzuschalten, finde ich super! Scheint eine kleine Sympatische zu sein. :-)
Oh ja, das ist sie. Das Problem ist, dass sie diese Situation auch extrem belastet, weil sie sehr wohl wahrnimmt, dass es dem betroffenen Kind damit überhaupt nicht gut geht. Tja und bei solchen Dingen, wie dem dreckig machen - sorry, da stehe ich echt da und bin völlig überfordert, wie man einem sechsjährigen Kind, das täglich drecktriefend nach hause kommt, bitteschön erklären soll, warum sich andere Kinder nicht dreckig machen dürfen. Netterweise gibt es ein Klettergerüst mit Ringen zum hangeln und mittlerweile kann JM schon bis ganz oben hangeln, wohingegen das betroffene Kind es bei einem Versuch belassen hat. Sie ist nämlich runter gefallen und hat sich dreckig gemacht. Seit dem versucht sie es nicht mal mehr. Das macht mich echt wütend und am schlimmsten ist, dass ich mich hilflos fühle, weil ich nichts tun kann und die Eltern des betroffenen Kindes scheinen blind dafür zu sein unter welchen Druck ihr Kind steht.
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